Lotusgeburt: Informativer Ratgeber für werdende Eltern

–> Expertengeprüft von Lisa Hobelsberger, Hebamme & Kinderkrankenschwester

Geburtsrituale können verschiedene Auswirkungen auf das Leben eines Kindes haben. So geht man im Allgemeinen davon aus, dass die psychische und emotionale Bindung beispielsweise durch einen unmittelbaren Haut-zu-Haut-Kontakt gestärkt wird. In eine ähnliche Richtung gehen die Gedanken zur Lotusgeburt. Hierbei wird die Nabelschnur nicht durchschnitten, sondern sie fällt auf natürliche Weise von selbst ab. Die natürliche Abnabelung soll Babys einen sanften Start ins Leben schenken. Doch wie läuft eine Lotusgeburt eigentlich ab, welche Vor- und Nachteile hat sie und was sagt die Wissenschaft dazu? Unser Artikel liefert Antworten auf diese und andere Fragen.

Was ist eine Lotusgeburt?

Eine Lotusgeburt, auch Lotus Birth genannt, ist ein spezielles Geburtsritual, bei dem die Nabelschnur nach der Entbindung nicht abgeklemmt oder durchtrennt wird. Der Name geht auf die Hellseherin Claire Lotus Bay zurück, die angeblich als erste Frau der industrialisierten Welt in den 70er-Jahren die Nabelschnur nicht durchtrennen ließ. Sie ahmte damit das Verhalten einer Schimpansin nach, die die Plazenta nach der Geburt nicht vom Affenbaby trennte.

Der Ablauf einer Lotusgeburt ist genauso wie bei jeder anderen Geburt. Der einzige Unterschied liegt darin, dass Du Dein Baby nicht abnabeln lässt. Stattdessen wartet ihr, bis Du auch den Mutterkuchen geboren hast, sodass Baby und Mutterkuchen, beieinander bleiben.

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Welche Rolle spielt die Plazenta?

Das Baby bleibt mit dem Mutterkuchen über die Nabelschnur verbunden, bis diese von selbst abfällt. Der Prozess kann zwischen 3 und 10 Tagen dauern. Während dieser Zeit wird die Plazenta sorgfältig behandelt, um bakterielle Fäulnis und Infektionen zu vermeiden:
Sie wird gereinigt und dann oft mit Salz behandelt. Zusätzlich können auch Kräuter und ätherische Öle verwendet werden, um mögliche Gerüche zu mindern. Anschließend wird die Plazenta in atmungsaktive Materialien wie Mullwindeln eingewickelt, um sie zu schützen und den Umgang mit ihr zu erleichtern. Manche Frauen benutzen spezielle Plazenta-Taschen.

Befürworter der Lotusgeburt sehen in dieser Methode eine spirituelle und emotionale Bedeutung. Sie glauben, dass durch das Verbleiben der Plazenta und Nabelschnur am Kind eine natürliche und sanfte Abnabelung ermöglicht wird, was zu einer tieferen Bindung zwischen Mutter und Kind führen soll. Zudem wird angenommen, dass die Plazenta nach der Geburt weiterhin energetische und spirituelle Vorteile bietet.

Lotusgeburt: Vor- und Nachteile

Bevor ihr euch für oder gegen die Lotusgeburt entscheidet, solltet ihr die Vor- und Nachteile abwägen. Wir haben die wichtigsten Punkte zusammengetragen:

Die Vorteile einer Lotusgeburt

  • Viele Eltern empfinden eine tiefere emotionale und spirituelle Verbindung zum Baby, da die Plazenta als Teil des Babys angesehen und behandelt wird.
  • Die Lotusgeburt ermöglicht eine sanfte Trennung der Nabelschnur, was von einigen als leichter Übergang vom Mutterleib ins Leben angesehen wird.
  • Es wird angenommen, dass Babys, bei denen die Nabelschnur nicht durchtrennt wurde im Zuge der Entbindung, ruhiger und entspannter sein können, obwohl dies wissenschaftlich nicht bestätigt ist.

Die Nachteile einer Lotusgeburt

  • Die Hauptbedenken betreffen das Risiko einer Infektion, da die Plazenta ein totes Gewebe ist, das bei ihrem Zerfall Bakterien anzieht.
  • Die Plazenta erschwert die alltägliche Pflege des Babys, wie Wickeln, Baden und Umziehen.
  • Es gibt keine wissenschaftlich haltbaren Nachweise, die die behaupteten Vorteile einer Lotusgeburt unterstützen.
  • Viele Kliniken lassen eine Lotusgeburt nicht zu.

Seid euch bewusst, dass ihr in jedem Fall die beste Entscheidung für euer Baby trefft, egal welchen Weg ihr wählt. Wichtig ist, dass die Hebamme und das Geburtshelfer-Team Bescheid wissen und euch unterstützen.

Was erwartet mich bei einer Lotusgeburt?

Tatsächlich warten besondere Herausforderungen und Erfahrungen auf euch. Die Lotusgeburt muss und kann – im Gegensatz zu einer Sturzgeburt beispielsweise – sehr gut vorbereitet werden, damit sie reibungslos abläuft.

  1. Du brauchst Materialien zur Plazenta-Pflege. Infrage kommt insbesondere grobes Meersalz zur Konservierung und zur Vorbeugung gegen Fäulnisbakterien. Manche Eltern verwenden Kräuter und Öle, um die Plazenta angenehmer riechen zu lassen. Lavendel und Rosmarin sind beliebte Optionen. Du kannst Mulltücher oder spezielle Plazenta-Taschen kaufen, um die Plazenta einzuwickeln und zu transportieren.
  2. Ihr solltet außerdem klären, ob eure Hebamme mit der Lotusgeburt vertraut ist und euch dabei begleiten wird. Im besten Fall kann sie auf Erfahrungen zurückgreifen.
  3. Wichtig zu wissen: So manches Krankenhaus lehnt die Lotusgeburt ab, sodass Du wählen musst, ob Du eine Hausgeburt bevorzugst oder in ein Geburtshaus gehst. Auch hier empfiehlt sich der enge Austausch mit eurer Hebamme.
  4. Nach der Lotusgeburt ist Hygiene ein großes Thema, um die Infektionsrisiken kleinstmöglich zu halten. Kümmert euch um ein Behältnis, in dem ihr die Plazenta aufbewahren möchtet, wie z. B. eingangs erwähnte Plazenta Taschen, die im Nachhinein ein schönes Andenken ist.
  5. Beobachtet euer Baby und die Plazenta sehr aufmerksam. Bei irgendwelchen Anzeichen einer Infektion oder einer anderen Komplikation solltet Ihr eingreifen oder ärztliche Hilfe holen.

Risiken und wissenschaftlich erwiesene Chancen

Wie bereits erwähnt, besteht das Risiko von bakterieller Fäulnis und von Infektionen. Genau hier knüpft die wissenschaftliche Beurteilung der Lotusgeburt an. Medizinisch gesehen endet der Nutzen der Plazenta für das Kind kurz nach der Geburt, da der Blut- und Nährstoffaustausch zwischen Kind und Plazenta mit dem Auspulsieren der Nabelschnur abgeschlossen ist.

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Ärzte stehen der Lotusgeburt oft sehr skeptisch gegenüber, denn haltbare wissenschaftliche Untersuchungen, die die Vorteile der Lotusgeburt stützen würden, sind bislang nicht bekannt. Allerdings gibt es Studien und Berichte darüber, dass Lotusgeburten zumindest ohne Komplikationen verliefen.

  • In einem Artikel aus dem Jahr 2018, veröffentlicht in „Women Birth“, wurde die Lotusgeburt als ein ganzheitlicher Ansatz beschrieben. Es wurden drei Fälle beobachtet, bei denen die Plazenta gewaschen, gesalzen und mit Kräutern behandelt wurde. Die Nabelschnur trennte sich bei allen drei Babys auf natürliche Weise am sechsten Lebenstag ab. Es gab keine besonderen Vorfälle, jede einzelne natürliche Abnabelung wurde als unproblematisch beschrieben.
  • Eine Studie von 2019, veröffentlicht im „Clinical Pediatrics“ Journal, untersuchte sechs Fälle von Lotusgeburten. Bei drei der sechs Familien wurde die Nabelschnur spontan doch noch vor der Krankenhausentlassung durchtrennt, bei den anderen blieb die Nabelschnur unangetastet. In keinem der Fälle wurden Infektionen festgestellt.

Lotusgeburt: Es ist eure Entscheidung

Die Entscheidung für eine Lotusgeburt bringt verschiedene Überlegungen mit sich. Einerseits berichten einige Eltern von einer tieferen Bindung und einer spirituell bereichernden Erfahrung. Andererseits ist es wichtig, die medizinischen Aspekte zu berücksichtigen. Vor allem das potenzielle Infektionsrisiko darf nicht außer Acht gelassen werden, da die Plazenta nach der Geburt ein Nährboden für Bakterien ist. Wir konnten allerdings keinen Fall aufspüren, bei dem ein Baby aufgrund einer Lotusgeburt eine Infektion erlitten hätte.

Interessanterweise zeigt das Verhalten von Schimpansen bei der Geburt, dass sie instinktiv die Nabelschnur durchbeißen, meist innerhalb von Minuten, manchmal auch erst nach einigen Stunden. Dieses natürliche Verhalten dient dazu, mit dem Baby mobil zu sein und sich vor drohenden Gefahren zu schützen. Claire Lotus hat also vermutlich ein ungewöhnliches Verhalten bei einer Schimpansen-Geburt beobachtet, bei der die Schimpansenmutter das Baby ausnahmsweise nicht abgenabelt hat.

Daher unser Rat: Lasst euch nicht von einem Trend mitreißen, sondern wägt die Vor- und Nachteile sorgfältig ab. Entscheidet euch für den Weg, der für euch am besten passt und sorgt vorab dafür, dass die Geburt eures Babys so abläuft, wie ihr es euch wünscht. Sucht den Austausch mit Arzt:innen und Hebammen bzw. teilt eure Fragen oder Erfahrungen hier in den Kommentaren!

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LG, Maren & Richard.

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Hey, ich bin Richard, Vollblut-Papa und zusammen mit meiner Frau Maren, ausgebildete Sozialassistentin & Erzieherin sowie studierte Sozialpädagogin aktuell in der Jugendhilfe tätig, führen wir als Eltern eines Sohnes den Elternblog „Papammunity“.

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