Im Jahr 2021 lag die Scheidungsquote in Deutschland bei knapp 40 %, über 121.000 minderjährige Kinder waren von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Doch hinter diesen harten, nackten Zahlen stehen Familien, deren inneres Gefüge nicht durch eine bloße Statistik zu erfassen ist. Für Familien stellen sich bei der Scheidung viele Fragen, in deren Zentrum die Suche nach einem für beide Seiten geeigneten Umgangsmodell steht, welches das Umgangsrecht im Einvernehmen der Eltern regelt.
Wie können wir die Kinder möglichst wenig unter der Trennung leiden lassen? Kommen sie zur Mutter oder zum Vater? Oder gibt es ganz andere Möglichkeiten? Wie können wir als Familie funktionieren, wenn die Beziehung zwischen den Eltern nicht mehr funktioniert?
Von der Trennung bis zur Scheidung: Wie können die Kinder geschont werden?
Ein Gastartikel zum Thema Umgangsmodelle von Rechtsanwalt Niklas Clamann. Herr Clamann betreibt eine Kanzlei für Familienrecht in Münster und hat sich dabei auf die einvernehmliche Scheidung, insbesondere als Online Scheidung, spezialisiert.
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Umgangsrecht im Trennungsfall: Das Wohl der Kinder im Fokus
Um zu verstehen, wie Kinder die Scheidung der Eltern möglichst unbeschadet überstehen können, sollte man sich ihre Situation vor Augen führen. Für die Eltern ist die Scheidung häufig der letzte und einzige Ausweg aus einer unglücklichen Ehe. Sie entscheiden selbstbestimmt, ihr Leben ändern und künftig ohne den bisherigen Partner an ihrer Seite verbringen zu wollen. Ihre Kinder haben diese Entscheidungsmacht nicht. Sie sind von der Scheidung der Eltern betroffen, können jedoch nicht mitbestimmen. Für Kinder ist dieser Schritt daher häufig mit Wut, Angst oder Traurigkeit verbunden.
Um diesen negativen Gefühlen zu begegnen, ist die Kooperations- und Kompromissbereitschaft der Eltern untereinander extrem wichtig. Lassen sie ihre Konflikte untereinander eskalieren, zieht sich das Scheidungsverfahren einerseits in die Länge, belastet andererseits aber auch die Kinder durch Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte. Im Ergebnis bedeutet dies oftmals ein Umgangsrecht, welches sowohl den Kindern als auch mindestens einem Elternteil schadet.
Stattdessen sollten sie bemüht sein, eine einvernehmliche Scheidung anzustreben. Damit ist keinesfalls gemeint, „um des lieben Frieden willens“ immer nachgeben zu müssen. Vielmehr handelt es sich um Kommunikation auf Augenhöhe und im Interesse, faire Regelungen für alle zu erreichen.
Bei Bedarf sollten sich die Scheidungswilligen über Beratungsangebote des Jugendamtes, freie Träger von Beratungsstellen und von Anwält:innen oder das Konzept der Mediation informieren. Diese Art der Scheidung schont die Nerven der Eltern und Kinder und lehrt die Kinder eine gesunde Streitkultur.
Umgangsmodell nach der Scheidung: Wo leben die Kinder?
Im Rahmen der Scheidung ist das Umgangsrecht mit den Kindern zu klären: Wie oft sehen die Eltern die Kinder, wie stark pflegen sie den gemeinsamen Kontakt und bleiben sie dadurch eine Bezugsperson?
Keineswegs ist dieses mit dem Sorgerecht zu verwechseln. Das Sorgerecht steht im Juristischen für die Vermögens- und Personensorge für die Kinder. Hier geht es darum, die Kinder zu versorgen und Entscheidungen für sie zu treffen. Beim Sorgerecht gibt es recht strenge gesetzliche Vorgaben; das Umgangsrecht oder auch Umgangsmodell können die Eltern dagegen nach ihren individuellen Bedürfnissen wählen und anpassen.
Welche Umgangsmodelle gibt es?
Es gibt insgesamt drei Umgangsmodelle im Sinne des Umgangsrechts. Diese kommen zum tragen, wenn sich die Eltern scheiden lassen und vereinbart wird, bei wem bzw. in welchem Modell die Kinder zukünftig leben. Neben dem Residenzmodell, auch klassisches Modell genannt, da dies das in Deutschland am meisten verbreitete Umgangsmodell ist, bei dem die Kindern in der Regel bei der Mutter leben und den Vater meist am Wochenende besuchen, gibt es noch das Wechselmodell sowie das Nestmodell.
Beim Wechselmodell teilen sich die Eltern die Erziehung ihrer Kinder und stellen ihnen zu gleichen Teilen Wohnraum zur Verfügung. Das Nestmodell als unkonventionelle Methode ähnelt dem Wechselmodell, mit dem Unterschied, dass nicht die Kinder das Zuhause zwischen Mutter und Vater wechseln, sondern die Eltern dies machen, während die Kinder ein festes Zuhause haben.
Die Umgangsmodelle beim Umgangsrecht übersichtlich erläutert
Der Klassiker: Das Residenzmodell
Typischerweise wählen Familien in Deutschland nach der Scheidung das Residenzmodell. Hier leben die Kinder nach der Trennung der Eltern meist bei der Mutter (Residenz) und besuchen den Vater in regelmäßigen Abständen.
So waren im Jahr ca. 2,2 Millionen Mütter und ca. 460.000 Väter alleinerziehend. Der Erfahrung nach entscheiden sich Eltern für dieses Modell, wenn sie auch in der Ehe eine klare Rollenverteilung gelebt haben, bei der der eine Part überwiegend für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig war, während der andere überwiegend einer Erwerbstätigkeit nachging.
Hieraus ergeben sich auch die Vor- und Nachteile des Residenzmodells:
- Die Kinder haben die meiste Zeit ein festes Umfeld und eine feste Bezugsperson. Meist ist die Bindung zu dieser Bezugsperson besonders eng.
- Der erziehende Elternteil ist im Umgang mit den Kindern gefestigt und geübt. Die Kinder müssen nicht zwischen unterschiedlichen Regeln umdenken, sondern nehmen die Besuchszeit beim nichterziehenden Elternteil als Ausnahme wahr.
- Den Kindern fehlt der nichterziehende Elternteil als Bezugsperson und als Rollenvorbild. Mangels eines gemeinsam verbrachten Alltags können sie von diesem nicht durch Beobachtung und Begleitung soziales Verhalten erlernen.
- Ist der erziehende Elternteil voll berufstätig, entsteht ein enorme Doppelbelastung. Arbeitet er dagegen nicht oder in Teilzeit, bedeutet die alleinige Übernahme der Erziehung häufig eine finanzielle Belastung, da Kindergeld und Unterhaltszahlungen den Lebensunterhalt der Kinder nicht vollständig abdecken.
Wichtig ist hier, den Nachteilen entgegenzuwirken, indem die Eltern einen aktiven Umgang des nicht erziehenden Teils mit den Kindern stärken.
Der Kontakt sollte mindestens wöchentlich stattfinden, auch moderne Kommunikationsmittel können das erleichtern. Zudem sollte die Besuchszeit nicht als Urlaub verstanden werden
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Natürlich kann die Zeit bewusst genossen und genutzt werden, trotzdem sollte sie eine Art Normalität darstellen. Dazu gehört etwa, Aufgaben im Haushalt zu übernehmen oder auch unangenehme Zeiten wie Krankheit gemeinsam zu durchleben.
Gelebte Gleichberechtigung: Das Wechselmodell
Ausgeräumt werden können die Nachteile des Residenzmodells durch die hälftige Aufteilung der Betreuung der Kinder zwischen den Eltern. Die Kinder wechseln dabei meist im Wochen- oder Zweiwochentakt zwischen den Wohnsitzen beider Elternteile; wir sprechen hier vom sogenannten Wechselmodell.
Dabei teilen die Eltern nicht nur die Zeit mit den Kindern, sondern auch die Erziehung und Verantwortung. Dieses Modell erlebt aktuell einen Aufschwung und wird insbesondere von Eltern gewählt, die in der Ehe keine klassischen Rollenbilder gelebt haben, sondern Wert auf Gleichberechtigung und Emanzipation legen.
Auch hier ergeben sich Vor- und Nachteile:
- Die Kinder behalten eine enge Bindung zu beiden Elternteilen.
- Die finanziellen und zeitlichen Belastungen durch die Kindererziehung können unter den Eltern aufgeteilt werden. Es droht keine derartige Überforderung eines Elternteils wie im Residenzmodell.
- Das Wechselmodell ist schwieriger umzusetzen. Gehen die Kinder in die Schule, müssen die Wohnsitze der Eltern nahe beieinander liegen. Da die Kinder aktiv in den Alltag beider Eltern einbezogen werden, haben etwa berufsbedingte Termine des einen oder Absprachen mit Freunden des Kindes für die nächste Woche auch Einfluss auf den Alltag des anderen. Hier sind Kompromissbereitschaft und Nachsicht im Betreuungsplan erforderlich.
Die Eltern müssen hier als Team an der Erziehung der Kinder arbeiten, auch wenn sie kein Paar mehr sind. Wichtig ist, dass dafür „an einem Strang“ gezogen wird, insbesondere was die Erziehungsstile angeht. Ist ein Part deutlich lockerer als der andere, endet dies nicht selten in Orientierungslosigkeit wie „Aber bei Mama/Papa darf ich das!“ oder dem bewussten Ausspielen der Eltern gegeneinander. Kommunikation ist daher in diesem Modell besonders wichtig.
Für Unkonventionelle: Das Nestmodell
Das Nestmodell kann auch als umgekehrtes Wechselmodell verstanden werden. Die Eltern teilen auch hier die Betreuung der Kinder hälftig auf. Im Unterschied zum Wechselmodell ziehen aber nicht die Kinder im regelmäßigen Takt um. Stattdessen bleiben die Kinder an einem festen Wohnsitz (Nest) und die Eltern ziehen abwechselnd bei ihnen ein.
Die Vor- und Nachteile des Nestmodells können daher teilweise übernommen werden, sind aber zu ergänzen:
- Die Kinder behalten eine enge Bindung zu beiden Eltern.
- Die finanziellen und zeitlichen Belastungen durch die Kindererziehung können unter den Eltern aufgeteilt werden.
- Die Kinder haben ein festes Umfeld. So sind etwa Freunde, Sportvereine oder Musikschulen ohne Einschränkungen durch das Pendeln immer erreichbar.
- Die Umsetzung ist schwierig und erfordert wie das Wechselmodell Kompromissbereitschaft und Nachsicht der Eltern im Betreuungsplan.
- Die Eltern benötigen eine weitere Wohnung. Hat jeder Elternteil zusätzlich eine eigene, kann dies zu einer hohen finanziellen Belastung führen. Teilen sich die Eltern die Zweitwohnung und beziehen Nest und Zweitwohnung immer im Wechsel, kann es ihnen in beiden Wohnungen an Privatsphäre fehlen. Es gibt dann keinen ganz eigenen Rückzugsort.
Umgangsrecht nutzen: Die Entscheidung für das richtige Umgangsmodell
Welches Umgangsmodell im Falle der Klärung des Umgangsrechts das richtige für jede einzelne Familie ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Stattdessen sind bei der Wahl vielfältige Faktoren zu beachten, etwa die bisherige Bindung zu den Kindern, das Verhältnis der Eltern untereinander, die Wohnorte und die finanziellen und zeitlichen Ressourcen der Eltern.
Letztlich müssen die Eltern eine für sie passende, individuelle Regel beim Umgangsrecht treffen. Dennoch lässt sich eine Grundregel aufstellen: Das richtige Modell ist dasjenige, das die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt – auch und gerade die des Kindes.
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